Warum ich bleibe

Donnerstag 31. März 2022 , Kirchenaustritte führen zu ungewöhnlicher Aktion

Die Kirche ist mir wichtig

„Warum ich bleibe“ – Einstieg im Mitteilungsblatt der Gemeinde Seitingen-Oberflacht – 03.12.2021

 

In den elf Monaten des Jahres 2021 sind aus unserer Gemeinde Mariä Himmelfahrt 23 Menschen aus der Kirche ausgetreten. In der Seelsorgeeinheit Konzenberg haben in diesem Zeitraum insgesamt 77 Christen die Kirche verlassen. Gehen wir davon aus, dass Kirchenaustritte keine Kurzschlussreaktionen sind. Für viele ist es ein langer, oftmals auch ein zermürbender Prozess, bis man der Kirche definitiv den Rücken kehrt. Doch können wir davon ausgehen, dass viele Getaufte, selbst fleißige Kirchgänger, sich ebenfalls mit „ihrer“ Kirche auseinandersetzen. Sie zweifeln an Strukturen, stellen Traditionen in Frage, tun sich schwer mit Inhalten und Sprache, fühlen sich nicht angenommen, …

Diesen Fragen gingen wir u.a. in der Klausur im Oktober in Untermarchtal nach – als Kirchengemeinderäte, aber auch jede und jeder für sich selbst. Und wir stellten fest: Glaube ist kein Selbstläufer! Wir alle stecken mitten drin in diesem Prozess des Fragens und Suchens. Manchmal fällt es uns leicht, zu glauben. Dann aber gibt es wieder schwierigere Phasen.

Mit diesem Thema wollen wir uns zukünftig verstärkt beschäftigen. Als Impuls starteten wir mit einem Text des Theologen und Musikwissenschaftlers Peter Paul Kaspar, der in seinem Buch „Glaube auf eigene Gefahr“ bereits im Jahr 1974 mit Texten provozierte, gleichzeitig aber mit dem Text „Warum ich bleibe“ ein faszinierendes Bekenntnis zu seiner Kirche ablegte:

Was mich dennoch hält

in dieser etablierten Kirche,

in dieser die Sache Christi

doch recht zweifelhaft vertretenen

und mit der jeweiligen Herrschaftsstruktur

verbündeten Institution,

in der die befreiende Botschaft

immer wieder ins Stocken gerät,

Machtstrukturen für eine scheinbare

Selbsterhaltung gebraucht werden,

theologisch und gottgewollt begründet,

von wegen dem heiligen Geist,

was mich dennoch bleiben lässt,

und warum ich nicht besser

mein Engagement,

mein Fragen und Suchen in ihr,

das Mitleiden, Mitleben und Mitfeiern

an den symbolischen Nagel hängen

und mich befreien sollte

von diesem alten Hut

eines fossilen Christentums?

All das werde ich immer wieder gefragt,

teils mitleidsvoll,

teils ironisierend.

Und dann kommt meine Antwort,

keineswegs idealistisch begeistert,

eher zögernd und nüchtern,

während ich darlege,

dass ich die Sache Christi

nicht aufgeben will und kann,

dass ich eben noch nicht alle Hoffnung

fahren gelassen habe,

dass diese Kirche

auch die Kirche Christi sei

oder wieder werden könnte.

Fortfahrend erkläre ich,

dass eben diese Kirche

mir Lebensraum bietet

und Möglichkeiten,

schöpferisch zu sein, dass mir hier so etwas

wie Heimat geschenkt wurde,

dass ich mich trotz allem

hier irgendwie wohl fühle,

Menschen finde,

die mit mir denselben Weg gehen

und so …

 

Und dann müsste ich noch sagen,

dass es mir schwer fallen würde,

außerhalb dieser Kirche

für die Sache Christi

so zu arbeiten wie hier,

und dass ich,

die Kirche verlassend,

auf jegliche Möglichkeit verzichte,

an einer besseren Kirche mitzubauen.

 

Und letztlich müsste ich sagen,

wenn’s auch etwas leiser käme,

dass ich diese Kirche, wie eben eine Heimat,

die mich leben und froh sein lässt,

dass ich diese Kirche liebe …

 

Mit diesem Statement und dem Titel „Warum ich bleibe“ wollen wir ein Forum eröffnen, das in unregelmäßiger Folge an dieser Stelle erscheinen soll. Es ist eine Aufforderung an Sie alle, über die ureigene Beziehung zur Kirche nachzudenken, die Gedanken zu sammeln und an andere weiterzugeben!

Für den Kirchengemeinderat

Alexander Krause, Marina Schweickhardt und Gerhard Liehner

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